Untreue-Prozess

Am Leuchtturm vorbei
VON GEORG LEPPERT
Die Liste, die Staatsanwältin Kerstin Lotz am Montagmittag im Schwurgerichtssaal 165 C des Frankfurter Landgerichts vorträgt, scheint gar kein Ende mehr zu nehmen. Fast 20 Minuten lang liest sie Namen und Anschriften von 204 in Deutschland lebenden Türken vor, die zwischen 2002 und 2007 Geld an den Verein Deniz Feneri gespendet haben.
Damit, so dachten sie, werde Not leidenden Muslimen in aller Welt geholfen. Doch ein großer Teil des Geldes kam nie bei den Betroffenen an. So lautet zumindest der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.

Drei türkischstämmige Männer sitzen am Montag auf der Anklagebank. Sie alle waren hohe Funktionäre bei Deniz Feneri; der Hauptangeklagte, ein 45 Jahre alter Mann mit deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft, war sogar Geschäftsführer der deutschen Sektion des Vereins, dessen Name übersetzt “Leuchtturm” bedeutet. Fast 19 Millionen Euro an Spendengeld sollen sie innerhalb von fünf Jahren unterschlagen haben. Betrug und Untreue sind die Straftatbestände, die die Anklage den Männern vorwirft.

In der Werbung für Deniz Feneri, die vor allem im europaweit zu empfangenden türkischen Fernsehsender Euro 7 lief, hörten sich die Aktivitäten des Vereins richtig gut an. Die in Frankfurt gegründete deutsche Sektion unterstütze etwa Erdbebenopfer in Pakistan, bezahle jungen Muslimen in aller Welt ihr Studium, komme nach Unfällen für Krankenhauskosten auf und finanziere sogar Beschneidungen von Jungen.

Die Fernsehzuschauer schienen jedenfalls begeistert zu sein und spendeten. Schnell wird am Montag vor der 26. Strafkammer klar, dass die von Staatsanwältin Lotz vorgetragenen Namen nur die Spitze des Eisbergs sind. Insgesamt gingen 21 000 Spenden ein, wie der Vorsitzende Richter Jochen Müller sagt. Rund 41 Millionen Euro sollen zusammengekommen sein.

Von einem Großteil des Geldes wurde tatsächlich Bedürftigen geholfen. Doch mindestens 18,5 Millionen Euro sollen die Funktionäre in bar abgehoben und zunächst in die Türkei geschafft haben.

Dort investierten die Vereinsoberen offenbar in Firmen, die sie teilweise selbst gegründet hatten. So erwarben sie Immobilien, gründeten einen Taxibetrieb und ersteigerten ein Fährschiff, das zwischen Italien und der Türkei fahren sollte.

200 Ordner Beweisstücke

Insbesondere wegen der Vielzahl der Geschädigten drohte der Strafkammer zunächst ein Mammutverfahren. Die Beweisstücke füllen bereits jetzt 200 Aktenordner, vorsichtshalber hatten die Richter den Prozess bis Weihnachten terminiert.

Am Montag aber deutet sich an, dass das Verfahren doch erheblich schneller zu Ende gehen könnte als befürchtet. Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung hätten eine Absprache getroffen, sagt Vorsitzender Müller: Die Angeklagten legen umfassende Geständnisse ab, so dass viele Zeugen nicht zu kommen brauchen. Dafür sollen ihre Strafen verhältnismäßig niedrig ausfallen. Der Hauptangeklagte soll sechs Jahre Freiheitsstrafe bekommen, seine beiden Mittäter drei Jahre beziehungsweise eine Bewährungsstrafe. Weitere Verfahren, etwa wegen Steuerdelikten, will die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Deals einstellen.

Tatsächlich sagen die Angeklagten am Montag aus. Der einstige Vorsitzende gibt zu, Geld abgezweigt zu haben. Das Spendenaufkommen sei so überwältigend gewesen, dass es die für die Hilfsprojekte nötige Summe überstiegen habe. Deshalb habe er zusammen mit den Mittätern das überschüssige Geld abgehoben und angelegt. Allerdings nur, um die Gewinne aus den Investments mitzunehmen. Die Einlagen in die Firmen habe er später an den Verein zurückzahlen wollen.

Der Prozess wird fortgesetzt.

 
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