TV-Kritik – Mehmet Scholl

TV-Kritik

 

Der Gemütskicker und die Wortmaschine

 

Von Mark Stöhr
 
Sein Traumberuf heißt Spielerfrau und im nächsten Leben will er der Hund von Uli Hoeneß werden. Jetzt ist er erst einmal Fernsehexperte. Mehmet Scholl gab gestern in der ARD seinen Einstand an der Seite von Gerhard Delling und zeigte sich schnörkellos und fachkundig. Bloß eines wird ihm wohl immer abgehen: die körperliche Präsenz.

Die Sendung dauerte erst wenige Minuten, und Gerhard Delling wälzte wortreich die Fakten. Das erste Ligaspiel der Bayern unter Klinsmann, Toni verletzt, Ribéry verletzt, Lahm beleidigt, weil van Bommel Kapitän und nicht er, drei Gegentore im Pokal von einem Drittligisten, wachsende Unruhe im Vorstand. Delling machte all das, was man als Moderator vor einer Liveübertragung halt so macht. Bloß hatte er diesmal einen Mann an seiner Seite, der sich nicht mit viel Gerede aufhalten wollte. Schon gar nicht, wenn es sich um Spekulationen im Vorfeld handelte. Also sagte Mehmet Scholl: “Wir sind alle gleich schlau im Moment. Jetzt schauen wir’s uns einfach mal an.” Der Satz saß. Delling rückte seinen Kragen zurecht und wusste in diesem Augenblick, dass er mit seinem geschmeidigen Plauderton nicht weit kommen würde an diesem Abend.
 

 
Schnörkellos bei der Sache
 
Scholl ist nicht der systematische Analyst wie der ehemalige ZDF-Experte Jürgen Klopp, der die Laufwege der Spieler auf Animationstafeln nachzeichnete. Er verzichtet auf die volkstümelnde Herablassung eines “Kaiser” Franz Beckenbauer und die oft enervierend langatmigen Ausführungen von Günter Netzer. Der 37-Jährige ist schnörkellos bei der Sache und genehmigte sich gestern nur selten einen kessen Satz (“Wenn du so viel laufen musst wie die Bayern heute, siehst du ab der 70. Minute drei Bälle”). Das wäre noch vor 15 Jahren undenkbar gewesen. Da dribbelte sich Scholl durch die gegnerischen Abwehrreihen und die Schlagzeilen des Boulevard gleichermaßen. Er war der Teenie-Star und Sprücheklopfer vom Dienst (“Warum ich die 7 auf dem Rücken trage? Weil ich in dem Alter mit dem Rauchen aufgehört habe”). Private Krisen und permanente sportliche Rückschläge gaben ihm zu denken. Scholl suchte ab Mitte der 90er Jahre das andere Extrem, zog sich fast komplett zurück und wurde vom Medienliebling zum Medienverweigerer. Nun, ein Jahr nach seinem Abschiedsspiel, scheint er eine gesunde Mischung zwischen öffentlicher Geltungssucht und privater Distanz gefunden zu haben.
 
Ob die Paarung Delling/Scholl als neues Experten-Duo für die Bundesliga und den DFB-Pokal wirklich funktioniert, bleibt abzuwarten. Noch liefen die hanseatische Wortspielmaschine und der süddeutsche Gemütskicker über weite Strecken nebeneinander her und passten sich nur selten den Ball zu. Einige wenige Neckereien (Scholl zu Delling: “Sie sind doch HSV-Fan!”) verhießen eine vorsichtige Annäherung. Den fahrlässigen Verbalakrobaten Scholl, den sich die ARD vielleicht erhofft hatte, wird es mit Sicherheit auch in Zukunft nicht geben. Auch nicht den telegenen Charismatiker. Dem Sohn eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter wurde schon von seinen Jugendtrainern eine mangelnde physische Präsenz attestiert. Das hat sich über die Jahre und bis heute nicht geändert. Scholl wirkt klein und fast unscheinbar neben dem hochaufgeschossenen Delling mit seinen medienerprobten Gesten. Flüssiges Reden vor der Kamera kann man lernen, eine raumgreifende Ausstrahlung nicht.Mehmet Scholl hat seine Sache trotzdem gut gemacht. Und sein immer wiederkehrender Albtraum, von dem er einmal erzählte, hat sich erneut nicht bewahrheitet: Er kommt am Spieltag in die Kabine, und die Kollegen sind schon fertig. Er sucht seine linke Socke und findet sie nicht. Dann den linken Schuh, auch der ist weg. Seine Mitspieler gehen raus zum Spiel, während er noch sein Trikot sucht. Die Mannschaft läuft nur zu zehnt auf, weil er es nicht schafft, sich anzuziehen.
 
Scholl war gestern da und hatte Klamotten an. Er wird bis 2010 bleiben. So lange läuft sein Vertrag mit der ARD.
 

Diese Erfahrung hatte schon Reinhold Beckmann bei der vergangenen Fußball-EM gemacht. Dort gab Mehmet Scholl sein TV-Debüt als Fußballexperte und widerlegte jede zweite Behauptung Beckmanns als blanken Unsinn. Nicht als Provokateur, sondern als einer, der schlichtweg Ahnung von Fußball hat. Das bewies er auch gestern beim Start der Bundesligasaison. Als der Hamburger SV die Bayern-Abwehr ein ums andere Mal zerlegte, brachte Scholl den Grund auf den Punkt (“Die Hamburger laufen in der Offensive kreuz und quer, und trotzdem sind alle Positionen besetzt”), die Angriffsschwäche der Münchner vor allem in der ersten Halbzeit, hätte Klinsmann in der Kabine nicht besser analysieren können (“Die Stürmer müssen öfter den Ball mit dem Rücken zur Abwehr annehmen und direkt in die Mitte weiterleiten”). Scholl empfahl den Hausherren nach dem Seitenwechsel schnelle Konter – die taten im zweiten Abschnitt genau das. Delling war beeindruckt und wählte seine Worte mit Bedacht.